USA, Irland, UK 2023

Regie: Yorgos Lanthimos
Drehbuch: Tony McNamara nach dem Roman von Alasdair Gray
Bildgestaltung: Robbie Ryan
Musik: Jerskin Fendrix
Montage: Yorgos Mavropsaridis
Produktion: Ed Guiney, Emma Stone, Yorgos Lanthimos
DarstellerInnen: Emma Stone, Willem Dafoe, Mark Ruffalo, Christopher Abbott

136 Minuten

FSK: ab 16

Festivals & Preise:
Venedig 2023: Goldener Löwe
Oscars 2024: 11 Nominierungen

Original (englisch)
mit deutschen Untertiteln



Poor Things

Der griechische Regisseur Yorgos Lanthimos greift in seinem neuen Spielfilm Poor Things Motive aus dem Frankenstein-Film von 1931 auf: Angesiedelt in London Mitte des 19. Jahrhunderts, pflanzt ein selbst mysteriös entstellter Chirurg (Willem Dafoe in der bekannten Rolle des „mad scientist“) einer schwangeren Selbstmörderin das Gehirn des Ungeborenen ein, das sie im Leib trug. Dann erweckt dieser Dr. Godwin Baxter (von seinen Freunden nur „God“ genannt) die Frau in Frankenstein-Manier zum Leben. Das klingt einigermaßen schräg und für manche vielleicht verstörend oder gar abstoßend, aber was Lanthimos daraus macht, ist großartig.

Mit den heutigen technischen Möglichkeiten, der Kombination von aufwendig gebauten Kulissen und digitaler Bilderzeugung, schafft er Tableaus der viktorianischen Zeit, die vielfach an die Bildwelten eines Jules Verne erinnern. Und das mit unendlicher Phantasie und viel schwarzem Humor. Da gibt es in den Totalen natürlich die Montgolfièren, die am Himmel fahren, aber es gibt auch Pferdedroschken, die ihre Pferdeköpfe nur noch wie eine Galionsfigur vor sich tragen, während in Wirklichkeit eine Dampfmaschine sie antreibt. Und im Garten von Dr. Baxter grasen natürlich bizarre Tiere – alles Ergebnisse der Forschungsarbeit des Professors.

In diese Welt hinein wird also die Kunst-Frau Bella wiedergeboren. Emma Stone spielt diese Bella mit dem Babyhirn, und es ist herrlich, ihr dabei zuzusehen, wie sie Tag für Tag dazu lernt und sich entwickelt. Wie sie Speisen probiert, mit Messer und Gabel essen lernt, ihren Körper entdeckt und sich als Frau emanzipiert, hin zu einem freigeistigen Menschen, der die Konventionen in einem unerhörten Maße missachtet, gleichzeitig aber mitfühlend und solidarisch handelt. Sie bereist Lissabon, Alexandria und Paris, macht Erfahrungen mit körperlichen und geistigen Genüssen, testet Grenzen und Vorlieben aus.

Ich will hier nicht den Film erzählen, nur soviel: Bei den Screenings der AGKino im Herbst in Leipzig, wo ich Poor Things das erste Mal gesehen habe, applaudierte am Ende stehend der ganze vollbesetzte Kinosaal – und das, obwohl der Regisseur gar nicht anwesend war, dem man hätte applaudieren können.

Klaus Peter Karger
Villingen
Mittwoch, 27. März 2024
20:15 Uhr
keine Vorstellung